Am 8. März wird der Weltfrauentag gefeiert. Eine gute Gelegenheit, um auf die Erfolge und Leistungen von Frauen zu blicken. Aber auch, um auf die weiter bestehenden Probleme aufmerksam zu machen. Karima Ballout (42 Jahre) und Katja Kesselmeier (33 Jahre), Apothekeninhaberinnen und Vorstandsmitglieder im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL), ziehen im Interview eine Bilanz. Nahezu 90 Prozent der Beschäftigten in Apotheken sind weiblich. Braucht die Branche überhaupt einen Frauentag? Karima Ballout: Absolut! Wir Frauen übernehmen nach wie vor in den Familien den Großteil der sogenannten Care-Arbeit, kümmern uns also um Kinder, pflegebedürftige Angehörige, den Haushalt. Zugleich halten wir in den Apotheken die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung aufrecht, weil wir den Spagat zwischen Beruf und Familie schaffen. Frauen haben eine Superkraft. Dafür müssen wir uns feiern. Warum sind die Arbeitsplätze in den Apotheken für Frauen so attraktiv? Katja Kesselmeier: Da gibt es sicher viele Gründe. Der Frauenanteil ist in den Gesundheitsberufen ja generell sehr hoch. Ich möchte hier keine Stereotype bedienen, aber ich beobachte schon, dass viele Frauen es als besonders sinnstiftend und erfüllend ansehen, anderen Menschen ganz unmittelbar zu helfen, wie das im Gesundheitswesen, aber auch in sozialen und pädagogischen Berufen möglich ist. Ein weiterer, ganz entscheidender Faktor ist, dass Apotheken sehr wohnortnahe und zugleich äußerst flexible Arbeitsplätze und viele verschiedene Teilzeitmodelle bieten. Das ermöglicht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und warum sind die Arbeitsplätze für Männer offenbar weniger attraktiv? Katja Kesselmeier: Das mag an den Tariflöhnen liegen und an alten Rollenbildern. Von einem Gehalt als pharmazeutisch-kaufmännischer Angestellter (PKA) und pharmazeutisch-technischer Assistent (PTA) eine Familie als Hauptverdiener zu ernähren, ist schwierig. Wir würden unsern Mitarbeitern sehr gern höhere Löhne bezahlen. Wir können als Inhaber aber nur das verteilen, was zur Verfügung steht. Unsere staatlich reglementierte Vergütung ist jedoch in den vergangenen 20 Jahren nur ein einziges Mal geringfügig erhöht worden – bei steigenden Kosten. Infolgedessen sind mittlerweile zehn Prozent der Apotheken defizitär und ein Drittel ist wirtschaftlich gefährdet. 73 Prozent der angestellten Apotheker in den Apotheken vor Ort sind weiblich. Unter den Selbstständigen und Gründern in Westfalen-Lippe sind es aber nicht einmal 50 Prozent. Woran liegt das Ihrer Einschätzung nach? Katja Kesselmeier: An den eben genannten Gründen: Frauen wollen und müssen Familie und Beruf vereinbaren. In der Selbstständigkeit aber funktioniert das nur, wenn ich eine entsprechende Struktur schaffe, um mir den Rücken freizuhalten. Dazu wiederum brauche ich finanziellen Spielraum. Karima Ballout: Genau. Ich habe drei Kinder und bin alleinerziehend. Das lässt sich nur mit den eigenen Apotheken vereinbaren, weil ich mir ein entsprechendes Team mit angestellten Apothekern aufbauen konnte. Und weil ich privat ein gutes Netzwerk habe. Wenn ich nachmittags um 16 Uhr nach Hause muss, weil die Kinder aus der Ganztagsbetreuung kommen, dann brauche ich hier in meinen Apotheken angestellte Apotheker, die übernehmen. Hätte ich keine Kinder, müsste ich übrigens einen Apotheker weniger beschäftigen. Zugleich muss ich, wenn Mitarbeiter aufgrund von Krankheit oder anderen Gründen ausfallen, notfalls selbst übernehmen können. Dann muss ich der Joker sein. Das ist vielen anderen Frauen nicht möglich. Was braucht es, um mehr Frauen für eine Selbstständigkeit zu gewinnen? Karima Ballout: Mehr Planbarkeit und mehr Sicherheit. In den vergangenen Jahren hat die Politik immer wieder – teils sehr kurzfristig – Rahmenbedingungen verändert und Reformpläne entwickelt, die das Risiko einer Selbstständigkeit nur schwer kalkulierbar erscheinen lassen. Zudem ist eine bessere und planbare Vergütung vonnöten. Diese ist, wie bereits erwähnt, in den vergangenen 20 Jahren vom Staat kaum erhöht worden. Die Vergütung muss so gestaltet sein, dass eine Selbstständigkeit nicht nur bei Selbstausbeutung des Apothekeninhabers funktioniert. Oder wenn ein Ehepartner dem Inhaber zu Hause den Rücken frei hält. Es muss also finanzierbar sein, approbierte Mitarbeiter anzustellen. Und die muss ich so gut bezahlen können, dass der Beruf für sie attraktiv ist. Warum sollten sich mehr Frauen selbstständig machen? Karima Ballout: Dafür gibt es viele gute Gründe: Ich zum Beispiel habe mich selbständig gemacht, um auch selbst etwas gestalten zu können, kreativ zu sein, Freiräume zu haben. Dies viel mehr Frauen zu ermöglichen, muss auch Ziel des Weltfrauentages sein. Katja Kesselmeier: Wenn mehr als 70 Prozent der Apotheker weiblich sind, aber nur wenige von ihnen eine Apotheke übernehmen wollen, dann bekommen wir über kurz oder lang ein Problem mit der flächendeckenden Arzneimittelversorgung. Deshalb muss die Politik hier dringend etwas tun, Apotheken stabilisieren und Selbstständigkeit attraktiv machen. Andernfalls bricht die Versorgung für die Bürger weg – und zugleich werden Tausende von Frauenarbeitsplätzen vernichtet. Karima Ballout: Damit würde für viele Frauen auch eine wichtige Anlaufstelle verloren gehen, die einen relevanten Beitrag für ein gesundes und selbstbestimmtes Leben leistet: Apotheken beraten Frauen in vielen, teils existenziellen Fragen: zur Verhütung, zu Menstruationsbeschwerden, Wechseljahresbeschwerden, zur Säuglingspflege und, und, und. Was wünschen Sie den Männern zum Weltfrauentag? Katja Kesselmeier: Mehr Männer in den Apotheken. Zum einen, damit sie die schönsten Berufe der Welt ausüben können. Zum anderen, weil es wichtig ist, dass sich unsere männlichen Patienten in manchen Fragen und bei manchen Themen an männliche PTA oder Apotheker wenden können. Es sollten im Übrigen auch mehr Männer selbst in die Apotheke kommen – und ihre eigene Gesundheitsversorgung nicht nur den Partnerinnen übertragen. Damit auch Männer ein gesundes und selbstbestimmtes Leben führen können
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