Münster 07.10.2024
Aktuelles

Entwicklungshilfe in der Apotheke

Svenja Schulze ist eine versierte Politikerin. Wissenschaft und Forschung, Umwelt und Naturschutz, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – damit kennt sich die SPD-Politikerin aus. Apotheke gehörte bisher nicht zu den Kernthemen der Bundestagsabgeordneten. Doch die Sorgen der Apothekerinnen und Apotheker, die aufgrund zunehmender Schließungen um die wohnortnahe Gesundheitsversorgung der Patienten fürchten, sind bei der Bundestagsabgeordneten angekommen. Deshalb hat sie sich nun in ihrem Wahlkreis Münster in der Phoenix-Apotheke über die aktuelle Lage informiert.

Höchst effizient

Von Apotheken hat Svenja Schulze wie die meisten Kunden bis dahin nur die Offizin gekannt, also den großen Verkaufsraum. Wie viel mehr dahinter steckt, hat sie nun bei ihrem Besuch erfahren. Inhaberin Juliane Hermes, Vorsitzende der Bezirksgruppe Münster im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL), und Jan Harbecke, AVWL-Vorstandsmitglied, haben ihr einen Blick hinter die Kulissen verschafft: Los geht der Rundgang beim großen Lagerautomaten, dessen Greifarm genau die Arzneimittelpackungen aus den Regalen angelt, die der Patient vorn im Verkaufsraum benötigt. „Die meisten Apotheken sind moderner Technologie und Digitalisierung gegenüber höchst aufgeschlossen und haben ihre Arbeitsabläufe längst optimiert“, erklärt Jan Harbecke. Einsparpotenziale gebe es bei den Arbeitsabläufen nicht mehr, die Apotheken seien bereits höchst effizient.

Weiter geht es durchs Labor und die Rezeptur, wo individuelle Arzneimittel angefertigt werden wie zum Beispiel die Fieberzäpfchen im Winter, wenn Medikamente für kranke Kinder von Lieferengpässen betroffen sind. In solchen Krisen bewähre sich das flächendeckende und dezentrale System der inhabergeführten Apotheke vor Ort einmal mehr, so Juliane Hermes.

Zwei Apotheken für 320.000 Menschen

Ihr Büro mit dem Schlafsofa für Notdienste ist die nächste Station. Zwölf Nächte pro Jahr verbringt die junge Mutter darauf – oder auch nicht: Denn zum Schlafen kommt sie kaum, weil pro Notdienst immer mehr Patienten ihre Apotheke aufsuchen. Gerade einmal zwei Apotheken teilen sich jede Nacht in der Stadt die Aufgabe, die Menschen zu versorgen: „Nur zwei Apotheken für 320.000 Einwohner?“, fragt Svenja Schulze überrascht nach. „Hier ist nachts richtig viel los“, bestätigt Juliane Hermes. „Aber mit zwölf Notdiensten kommen wir in Münster vergleichsweise gut weg. Kollegen im ländlichen Raum Deutschlands müssen teils mehr als 40 Notdienste pro Jahr leisten.“ 

Trotz der Belastungen aber halten die beiden Apotheker wenig davon, die Apotheken-Notdienste an den Notfallpraxen und -ambulanzen zu zentralisieren, wie derzeit vom Bundesgesundheitsministerium geplant wird. Viele Patienten im ländlichen Raum, aber auch den Großstädten suchten am späten Abend oder nachts zunächst in der Apotheke schnelle Hilfe, sagt Hermes. „Wir tragen so dazu bei, das System der Notfallpraxen und –ambulanzen zu entlasten. Und gerade auf dem Land brauchen die Menschen auch in der Nähe eine Anlaufstation für ihre Fragen.“ Von einer Zentralisierung hält sie daher nichts. Stattdessen müssten sich Notfallpraxen und Apotheken besser vernetzen, ergänzt Jan Harbecke.

Ungleiche Machtverhältnisse

Grund für die hohe Zahl der Notdienste sind die zunehmenden Apothekenschließungen. Und deren Ursache wiederum liegt in der chronischen Unterfinanzierung der Apotheken vor Ort, wie Juliane Hermes und Jan Harbecke erläutern. Seit 20 Jahren ist das staatliche reglementierte Honorar de facto nicht mehr erhöht worden – trotz stark gestiegener Sach- und Personalkosten sowie hoher Inflation. Mittlerweile seien zehn Prozent der Apotheken defizitär und 30 Prozent wirtschaftlich gefährdet, so die beiden Apotheker.

Svenja Schulze verweist auf die Apothekenreform, die ihr Parteikollege Gesundheitsminister Karl Lauterbach plant. Unter anderem sollen Krankenkassen und Bundesapothekerverband künftig regelmäßig über Anpassungen des Honorars verhandeln. Eine Dynamisierung sei zwar gut – aber die Machtverhältnisse zwischen Kassen und Apotheken einfach zu ungleich, nennt Jan Harbecke eine Schwierigkeit. Deshalb müsse die Politik für eine erfolgreiche Lösung ihrer Pflicht nachkommen und Eckpunkte vorgeben beziehungsweise Leitplanken ziehen, gibt er der SPD-Politikerin mit auf den Weg nach Berlin. Ein weiteres Problem: Die Verhandlungslösung soll erst im Jahr 2027 eingeführt werden – bis dahin allerdings sei es für viele Apotheken schon zu spät, sagt Harbecke: „Wir brauchen Soforthilfe.“

Nichts zu verteilen

Statt aber die Apotheken nun schnell finanziell zu stärken, will der Bundesgesundheitsminister zunächst lediglich das Honorarvolumen umverteilen: Von den großen vermeintlich gut verdienenden Apotheken will er Honorar abschöpfen und den kleineren geben. „Das wird nicht funktionieren“, warnt Jan Harbecke. „Die Zitrone ist längst ausgequetscht. Da ist nichts mehr umzuverteilen.“ Im Übrigen würden kleine Apotheken nur in kaum messbarem Umfang von der geplanten Reform profitieren, dafür aber gerieten weitere, größere Apotheken in Schieflage.

Ferner will das Bundesgesundheitsministerium Kosten in den Apotheken reduzieren, indem Apotheker eingespart werden: Den Reformplänen zufolge soll nur noch wenige Stunden pro Woche ein Apotheker in der Apotheke persönlich anwesend sein müssen. „Ohne Apotheker gäbe es keine Impfungen mehr in Apotheken und keine umfassenden Medikationsberatungen“, zählt Juliane Hermes die Folgen auf. Auch das Management der Lieferengpässe, also die Suche nach Alternativpräparaten und die Absprache mit den Ärzten, sei nicht mehr möglich. Starke Schmerzmittel könnten nicht mehr abgegeben und Palliativpatienten nicht versorgt werden.

Die Bundestagsabgeordnete und Ministerin hört zu. Entwicklungshilfe für die Apotheke kann sie an diesem Tag nicht leisten. Aber das, was sie hier erfahren hat, nimmt sie mit nach Berlin, wie sie verspricht.
 

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