Herford 18.06.2024
Aktuelles

„Es hat sich nichts verbessert, es wird vielmehr immer schlimmer!“

Im Sommer des vergangenen Jahres sind die Apothekenteams im Kreis Herford erstmals auf die Straße gegangen, um gegen die zunehmend schwierigen Bedingungen zu protestieren. Damals hatte Apotheker Jens Kosmiky Bürgermeister Tim Kähler über die Beweggründe informiert. Ein Jahr später hat Kähler nun Kosmikys Apotheke besucht, um zu erfahren, was sich seitdem getan hat. „Nichts“ lautet Kosmikys Antwort. „Jedenfalls nichts zum Guten – es wird vielmehr immer schlimmer.“ 

Jetzt hat das Bundesgesundheitsministerium den Entwurf für eine Apothekensturkturreform vorgelegt, der nach Kosmiky Überzeugung die Situation weiter verschärfen wird. Kosmiky, der Vorsitzender der Bezirksgruppe Herford im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) ist, sorgt sich um die Versorgung seiner Patienten. Denn die wirtschaftliche Situation der Betriebe vor allem in kleineren Landapotheken werde immer schwieriger und das Netz drohe daher weiter auszudünnen. 

Nicht einmal Mindestlohn

Beim Rundgang durch seinen Betrieb erklärt Kosmiky die Abläufe in einer typischen Apotheke und zeigt auf, wie viel Arbeit im Hintergrund geleistet werden muss, damit „vorne“ in der Offizin alles läuft. Bürgermeister Kähler weiß, was Kosmiky meint: „Es fällt oft mehr Zeit für bürokratischen Unsinn an als für die Erledigung der eigentlichen Aufgabe“. Da seien sich Verwaltung und Apotheke sehr ähnlich. Besonders ausgeprägt ist das zum Beispiel in der Rezeptur, in der die Mitarbeiter für die Patienten maßgeschneiderte Arzneimittel wie Salben und Cremes herstellen. Bis zu einer Stunde dauert die Herstellung mitunter, mindestens die Hälfte dieser Zeit geht für die aufwendige Dokumentation drauf. Der Lohn dafür: rund 6 Euro. „Das ist nicht annähernd Mindestlohnniveau“, kritisiert Kosmiky.

Ebenso wenig sei die Abgabe von verschreibungspflichtigen Fertigarzneimitteln noch auskömmlich, fährt er fort. Denn die staatlich reglementierte Vergütung der Apotheken ist in den vergangenen 20 Jahren nur ein einziges Mal geringfügig von der Politik angehoben und im vergangenen Jahr trotz immens gestiegener Kosten sogar noch gekürzt worden. „Überall explodieren die Kosten und wir erhalten noch nicht mal einen Inflationsausgleich. Ein Drittel aller Apotheken ist wirtschaftlich gefährdet, jede zehnte erwirtschaftet keinen Gewinn.“, berichtet Kosmiky. 

Mittlerweile zahlten die Apotheken pro verschreibungspflichtiger Arzneimittelpackung, die sie an gesetzlich versicherte Patienten abgeben, 46 Cent drauf. „Wir müssen also aktuell noch Geld mitbringen, um unsere Patienten versorgen zu können“, so Kosmiky. Dies hat zur Folge, dass sich die Zahl der Apotheken bundesweit in einem immer steiler werdenden Sinkflug befindet: Im vergangenen Jahr sind bundesweit annähernd 500 Apotheken geschlossen worden – das entspricht der Gesamtzahl der Apotheken in Thüringen. Im Kreis Herford ist die Apothekenzahl in den vergangenen zehn Jahren von 59 auf 48 geschrumpft, eine weitere Schließung steht bereits fest, drei weitere werden befürchtet. 

Riskante Pläne des Bundesgesundheitsministers

Das Bundesgesundheitsministerium plant zwar derzeit eine Apothekenstrukturreform. „Dadurch wird die Situation nur noch verschärft“, so Kosmiky. Mit dieser Reform will der Minister das Honorar zwischen größeren und kleinen Apotheken umverteilen. Dies allerdings sei eine Mogelpackung, so Kosmiky. Denn ein wissenschaftliches Gutachten belege, dass auch die kleinen Apotheken durch die Reform nur in homöopathischer Dosis bessergestellt würden und den großen zugleich hohe Einbußen drohten. Spezialleistungen und auch die Versorgung der Patienten mit innovativen, teuren Arzneimitteln würden dadurch massiv erschwert. „Wir müssen Arzneimittel teils im Wert von fünfstelligen Summen vorfinanzieren. Mit der angedachten Reform wären diese Vorfinanzierungskosten nicht mehr tragbar“, so Kosmiky. „Die Versorgung der Patienten wird verschlechtert. Diese Umverteilung hilft nicht. Es ist schlicht zu wenig Geld im System“, so der Apotheker. 

„Zudem will der Bundesgesundheitsminister Apotheken ohne Apotheker schaffen, angeblich um die ländliche Versorgung Schwerkranker zu sichern. Umfassende Medikationsberatungen, Impfungen, die Abgabe von Betäubungsmitteln, die Herstellung von individuellen Rezepturen – das alles ist ohne Apotheker aber nicht möglich“, warnt Kosmiky und fügt hinzu: „Für die Patienten bedeutet dies nichts anderes als Leistungskürzungen bzw. weitere Wege.“ Verfassungsrechtler hätten Bedenken gegen diese Pläne geäußert.

Hohe Folgekosten

Kosmiky erzählt, dass er seinen Mitarbeiterinnen auch gern höhere Löhne zahlen würde. „Aber wenn die Politik die Vergütung der Apotheken nicht anpasst, können wir diese Gehaltssteigerungen nicht gegenfinanzieren“, so Kosmiky. 

Tim Kähler sieht die Schwierigkeiten und durch seine Arbeit in der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (Bundes-SGK) weiß er um die Bedeutung der Apotheken vor Ort: „Die Attraktivität einer Stadt hängt maßgeblich von einem guten Sozialgefüge ab, und dazu gehört unbedingt auch eine sichere ärztliche und apothekerliche Versorgung.“ Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen betont er, dass trotz angespannter Haushaltslage wichtige Zukunftsinvestitionen etwa in Bildung, Infrastruktur und auch die Gesundheitsversorgung nicht aufgeschoben werden dürften. Und er weiß, dass es um ein vielfaches günstiger ist, ein gut funktionierendes System zu erhalten als ein einmal zerstörtes wieder aufzubauen. 

„Wenn es keine Apotheken vor Ort mehr gibt“, betont Kosmiky, „wird dies für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft deutlich teurer, bei gleichzeitig schlechterer Versorgung.“ Er hofft daher nach wie vor, dass die Politik sich auf allen Ebenen den Plänen von Bundesgesundheitsminister Lauterbach entgegenstellt, um die Gesundheitsversorgung wieder auf sicheren Kurs zu bringen. Tim Kähler versichert: „Ich setze mich unbedingt für den Erhalt der Apotheke vor Ort ein.“ 

zur Übersicht

Kontakt

Apothekerverband Westfalen-Lippe e.V.
Willy-Brandt-Weg 11
48155 Münster

Telefon: 0251 539380
Telefax: 0251 5393813
E-Mail: apothekerverband@avwl.de

Montag bis Freitag:
8:30 bis 13:00 und 14:00 bis 16:00 Uhr

Ihr Feedback

Schreiben Sie uns!