Es muss etwas getan werden. In diesem Punkt bestand über die Parteigrenzen hinweg Einigkeit bei der Regionalkonferenz, zu der Apothekerkammer und Apothekerverband Westfalen-Lippe in Bielefeld eingeladen hatten. Denn die Lage in der Arzneimittelversorgung spitzt sich weiter zu. Das belegen die Zahlen, die der Bielefelder Apotheker Hauke Stange an diesem Abend für seine Stadt vorlegte: Um annähernd 30 Prozent ist die Zahl der Apotheken in den vergangenen 15 Jahren gesunken, noch stärker als im Bundesdurchschnitt und in Westfalen-Lippe. Heute müsse eine Apotheke etwa ein Drittel mehr Patienten versorgen als noch vor 15 Jahren. „Zugleich haben die Patienten mehr Unterstützungsbedarf, weil sie immer älter werden“, so Hauke Stange. „Der Arbeitsdruck steigt also enorm in den Apotheken, die staatlich geregelte Vergütung allerdings stagniert seit 20 Jahren trotz massiv steigender Kosten“, erklärt er die Ursache für die Apothekenschließungen. Die Folge ist, dass mittlerweile ein Drittel der Apotheken wirtschaftlich gefährdet sei.
„Ich muss nach der Veranstaltung heute in den Notdienst, weil die Apotheke nebenan geschlossen worden ist.“ Edward Mosch, Kreisvertrauensapotheker Herford
Um auf diese schwierige Versorgungslage aufmerksam zu machen, haben Apothekerkammer und Apothekerverband den Sommer über in Westfalen-Lippe fünf Regionalkonferenzen organisiert. Ziel ist, Politik und Öffentlichkeit für die schwierige Situation der Apotheken zu sensibilisieren und Lösungsansätze zu debattieren. 120 Apothekerinnen und Apotheker aus Ostwestfalen beteiligten sich an der fünften Regionalkonferenz in Bielefeld. Sorge bereitet ihnen vor allem die vom Bundesgesundheitsministerium geplante Apothekenreform, weil diese Reform die Situation noch zu verschärfen drohe, warnte Frank Dieckerhoff, Vizepräsident der Apothekerkammer. Denn das Ministerium will Apotheken ohne Apotheker schaffen. Apotheker einzusparen gefährdet aber nach Dieckerhoffs Einschätzung die Patientensicherheit und wird letztlich zu Leistungskürzungen führen.
Zugleich will das Ministerium mit der Apothekenreform das Vergütungssystem umstellen – „und wird damit die wirtschaftliche Situation der Apotheken noch verschärfen. Diese Umstellung bedeutet letztlich eine Honorarkürzung“, warnt Jan Harbecke, Vorstandsmitglied des Apothekerverbandes. Nach 20 Jahren Stagnation führe kein Weg daran vorbei, die Vergütung zu erhöhen, wenn man das Apothekensystem sichern wolle, so Harbecke.
Entschieden wird über die Reform in Berlin. Während die eingeladenen Bundestagsabgeordneten aber an diesem Abend nicht zur Diskussion gekommen waren, stellten sich die Landtagsabgeordneten aus der Region sowie die Kommunalpolitiker der Debatte mit den Apothekerinnen und Apothekern.
Alles durchdacht?
„In der kommunalpolitischen Familie besteht ein großes Interesse an einer nachhaltigen Apotheke vor Ort“, versicherte der Bielefelder Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD), der auch Vorstandsmitglied des Städtetages NRW ist. Ob und wie der Städtetag sich zu diesem Entwurf positionieren wird, konnte Clausen an diesem Abend noch nicht absehen. Er zeigte Verständnis, dass es letztlich um die Auskömmlichkeit des Betriebes gehe. Und er räumte ein, dass auch er seine Zweifel habe, dass im Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums für eine Apothekenreform alles bis zuletzt durchdacht worden sei. Als Vertreter des Städtetages habe er die Erwartung, dass das Bundesgesundheitsministerium für die Apotheker zur Verfügung stehe.
Dass genau diese Konsenssuche derzeit mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nicht möglich ist, bemängelten nicht nur die Apotheker im Raum: „Es gibt eine schönere Art, in der Politik miteinander umzugehen“, kritisierte der Bielefelder CDU-Landtagsabgeordnete Tom Brüntrup den Politikstil Lauterbachs. Apotheken ohne Apotheker zu schaffen, um das Problem des Fachkräftemangels und der steigenden Kosten anzugehen, hält Brüntrup jedenfalls für keine gute Lösung. Stattdessen setzt sich der Landtagsabgeordnete, der seine Partei im Wissenschaftsausschuss vertritt, dafür ein, mehr Apotheker auszubilden und zu diesem Zweck in Ostwestfalen einen zusätzlichen Studiengang Pharmazie aufzubauen.
Nicht Lauterbachs Bodyguard
Apotheken ohne Apotheker sind auch für Dr. Christiana Bauer, CDU-Kreisvorsitzende in Bielefeld nicht der richtige Weg: „Apotheke verkauft kein Brot“, erklärte sie. Die Juristin hat zum Thema „Staatliche Maßnahmen zur Erhaltung einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung“ promoviert. In den vergangenen 20 Jahren habe es eine Aneinanderreihung von Fehlentscheidungen der Politik gegeben, was die Sicherung dieser Arzneimittelversorgung anbetreffe, so Dr. Bauer – und nimmt auch ihre eigene Partei von dieser Kritik nicht aus. Die geplante Abschaffung der apothekerlichen Präsenzpflicht sei die nächste Fehlentscheidung. Einfluss hat sie als Kommunalpolitikerin nicht auf das Gesetzgebungsverfahren, „aber Kommunalpolitik kann dafür sorgen, dass Sie gehört werden“.
„Ich bin nicht der Bodyguard von Karl Lauterbach“, machte die SPD-Landtagsabgeordnete Christina Weng, Mitglied im Gesundheitsausschuss deutlich, dass sie als Landespolitikerin den Entwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium nicht zu verantworten hat. Sie versicherte aber: „Niemand hat ein Interesse, die Versorgung der Bevölkerung in die Tonne zu treten.“ Christina Weng stellte sich der intensiven und teils auch emotionalen Diskussion mit den Apothekerinnen und Apothekern und ging ausführlich auf deren Sorge und Probleme ein. Und auch sie sieht die Bedeutung des flächendeckenden Apothekennetzes, weil Apotheken gerade im Bereich Prävention viel leisten könnten: „Derzeit wird im Gesundheitswesen mit Krankheit verdient – und nicht mit Vorsorge.“
„Apotheken haben der Gesellschaft viel anzubieten, gerade im Bereich der Prävention“, bestätigte Kammervize Frank Dieckerhoff. „Aber nur wirtschaftlich gesunde Betriebe können solche Vorsorgeleistungen auch anbieten“, fügte er hinzu.
„Bitte nehmen Sie all das, was Sie heute hier gehört haben und was hier diskutiert worden ist, mit in Ihre Parteien“, forderte Jan Harbecke die Politiker abschließend auf. Und Benjamin Rauer, Grünen-Landtagsabgeordneter und Sozialpolitiker versicherte: „Ich werde weitergeben, wie viel Druck es bei den Apotheken gibt.“ Er betonte: „Apotheke gehört zur Versorgungssicherheit dazu.“
Apothekerkammer und Apothekerverband Westfalen-Lippe haben in insgesamt sechs Regionalkonferenzen mit der Politik vor Ort über die Situation in der Arzneimittelversorgung und die geplante Apothekenreform debattiert. Hier geht es zu den Berichten über die weiteren Konferenzen:
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