Münster 13.06.2024
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„Reformpläne sind Gift für die Arzneimittelversorgung“

Mit scharfer Kritik reagiert der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) auf den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Apothekenstrukturreform, der nun offenbar aus dem Bundesgesundheitsministerium an die Medien durchgestochen worden ist: „Dieser Gesetzentwurf ist schlicht Gift für die flächendeckende Gesundheitsversorgung der Menschen. Die Art und Weise, wie er – an den Betroffenen vorbei – den Medien gesteckt wurde, ist ein Zeichen tiefster Geringschätzung, die der Minister den Apothekenteams entgegenbringt, und auch ein merkwürdiges Verständnis von Parlamentarismus. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das bewährte Apothekensystem plattgemacht werden soll“, erklärt der AVWL-Vorstandsvorsitzende Thomas Rochell zu den Vorgängen.

Starke Schmerzmittel nur noch mit Termin?

Trotz massiver Kritik in den vergangenen Monaten und intensiver Diskussionen, die viele Apothekenteams mit Bundestagsabgeordneten, Landtags- und Kommunalpolitikern aller Parteien geführt hätten, halte man im Bundesgesundheitsministerium an Ideen fest, die letztlich für die Patienten zu Leistungskürzungen führten und die Versorgung verschlechterten, so Rochell.

Dem nun veröffentlichten Entwurf zufolge will das Bundesgesundheitsministerium Apotheken ohne Apotheker schaffen. Hier sollen auch dann Arzneimittel abgegeben werden dürfen, wenn ein Apotheker nur per Video dazu geschaltet ist und der Apothekenleiter lediglich acht Stunden pro Woche in der Filiale vorbeischaut. „Wie soll das funktionieren?“, fragt sich Thomas Rochell. Viele der Aufgaben in einer Apotheke seien an die Präsenz des Apothekers gebunden. „Soll ich zum Beispiel künftig Betäubungs-, also starke Schmerzmittel nur einmal pro Woche mit Termin abgeben?“ Die „Fernwartung“ durch den Apotheker per Videoschaltung bedeute nichts anderes als eine riskante Trivialisierung der Arzneimittelabgabe, die letztlich ein Risiko für die Patientensicherheit berge.

Hinzu komme, dass ein Inhaber künftig alle seine Apotheken persönlich leiten dürfe und keinen Filialleiter einsetzen müsse. Die Filialen müssten sich nicht einmal mehr in räumlicher Nähe zueinander befinden. „Wir Apothekerinnen und Apotheker können viel – aber wir haben nicht die Fähigkeit, an mehreren Orten zugleich zu sein.“ Durch die Verdichtung der Arbeit und die vielen zusätzlichen Aufgaben könnten viele Beschäftige und Inhaber schon heute kaum mehr, gibt Rochell zu bedenken. 

Bruch des Koalitionsvertrages

Zudem will der Minister das staatlich geregelte Honorar umverteilen. Derzeit werden die Apotheken pro verschreibungspflichtiger Arzneimittelpackung, die sie abgeben, mit einer Pauschale von 8,35 Euro vergütet zuzüglich eines Zuschlags von 3 Prozent auf den Einkaufspreis. Das Ministerium will die Pauschale nun in zwei Schritten auf 9 Euro erhöhen und dafür den Zuschlag auf 2 Prozent zusammenstreichen. Der Minister will damit angeblich kleine Apotheken auf dem Land stärken, weil es dort nur noch wenige Betriebe gibt. Dabei sei bereits die Grundannahme hinter dieser Umverteilungsidee falsch, so Rochell: „Fakt ist nämlich, dass auch in großen Städten ganze Viertel mittlerweile nicht mehr versorgt sind. Die Vorstellung, dass es in den Städten genügend Apotheken gebe und man hier Standorte wegsparen könne, ist falsch und gefährlich.“

„Die geplante Honorarumverteilung ist außerdem nicht finanzneutral, wie das Ministerium behauptet, allenfalls im Jahr der Umstellung. Sie bedeutet letztlich eine Kürzung des Honorars. Damit wird das Apothekensystem nicht gesichert. Denn nach elf Jahren ohne jeglichen Inflationsausgleich brauchen wir keine Umverteilung, sondern schlicht mehr Geld im System“, so Rochell. Eine Erhöhung der Vergütung sei erst ab 2027 in Aussicht gestellt – sofern sich Krankenkassen und Apotheken in Verhandlungen verständigen könnten. „2027 aber ist es für viele Apotheken längst zu spät, denn ein Viertel ist heute bereits wirtschaftlich gefährdet“, warnt Thomas Rochell und fügt hinzu: „Wir müssen unsere Mitarbeiter, die laut Tarifvertrag teils wenig mehr als den Mindestlohn erhalten, angemessen bezahlen können. Dies ist ohne eine Honorarerhöhung nicht möglich.“

Letztlich bedeute der Referentenentwurf auch einen Bruch des Koalitionsvertrages und von Regierungsversprechen, kritisiert Rochell: Denn die Ampelparteien hätten sich darauf verständigt, dass Apotheken künftig für die Patienten mehr pharmazeutische Dienstleistungen wie Blutdruckchecks und Cholesterinmessungen anbieten sollten. Statt dieses Versprechen zu erfüllen, werde im Gegenteil der Finanztopf, der für diese Leistungen zur Verfügung steht, dem Entwurf zufolge gekürzt, um Geld für Notdienste abzuzwacken. Dies bedeute für Landapotheken, die viele Notdienste leisten müssen, ein jährliches Plus in Höhe eines niedrigen vierstelligen Betrages. „Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein und keine Antwort auf elf Jahre Stagnation bei der Vergütung“, so Rochell. 

Voller Konstruktionsfehler

Der Entwurf enthalte darüber hinaus viele weitere Ungereimtheiten und Ideen, die nicht zu Ende gedacht seien, aber auch einige Nebelkerzen so Rochell. So kündigt der Minister an, die Öffnungszeiten zu flexibilisieren. „Das allerdings ist nichts Neues, viele Bundesländer haben das längst ermöglicht. Der Minister schenkt hier alten Wein in neue Schläuche. Wir werden Politik über all diese Konstruktionsfehler informieren und der Öffentlichkeit deren Folgen vor Augen führen“, so Rochell.

Genau ein Jahr ist es nun her, dass die Apotheken vor Ort erstmals auf die Straße gegangen sind, um gegen die zunehmend schwierigen Bedingungen zu protestieren. „Seitdem hat sich nichts gebessert – es ist vielmehr nur noch schlimmer geworden“, so Rochell. „Und nun setzt der Bundesgesundheitsminister mit diesem Entwurf noch einen obendrauf. Dabei hält er es nicht einmal für nötig, die Betroffenen direkt zu informieren, sondern lanciert – wieder einmal – sein Vorhaben über die Medien. Das ist schlicht eine Unverschämtheit. Wir Apotheken vor Ort werden dies alles nicht hinnehmen, sondern mit weiteren Aktionen reagieren.“


Die Gesundheitsministerinnen und -minister der Bundesländer haben im Übrigen die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zur Apothekenreform vehement abgelehnt. Mehr Infos dazu hier: https://www.abda.de/aktuelles-und-presse/newsroom/detail/laender-widersprechen-lauterbachs-apotheken-plaenen/

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