Es ist ein echter Schildbürgerstreich, den sich eine Krankenkasse nun geleistet hat: Sie hat eine Rezeptabrechnung der Hirsch-Apotheke am Bahnhof Hamm prüfen lassen und glaubte, dabei einen Fehler entdeckt zu haben. Also kürzte sie die Rechnung der Apotheke um 3,21 Euro. Darüber informierte die Kasse den Apothekeninhaber Martin Schwarzer per Einschreibebrief. Die Kosten für das Porto beliefen sich auf 4,75 Euro.
„Auch ohne Kenntnisse in höherer Mathematik sieht man auf den ersten Blick, dass das ein Verlustgeschäft für die Kasse ist“, sagt Martin Schwarzer. „Und das sind nur die Portokosten. Hinzu kommen noch die Ausgaben für das Papier, denn der Umschlag enthielt neun DIN-A-4-Seiten. Noch höher dürften aber die Personalkosten liegen, denn irgendein Mitarbeiter muss die Rechnung geprüft, das Schreiben ausgefertigt und in einen Briefumschlag gesteckt haben.“ Martin Schwarzer stellt sich daher die Frage, „wie gewissenhaft die Kassen eigentlich mit den Geldern ihrer Versicherten umgehen?“
Zumal der Fall von Martin Schwarzer kein Einzelereignis sei, wie Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe (AVWL), erklärt. Solche Kürzungen kleinster Rechnungsbeträge gingen immer wieder in den Apotheken ein. „Die Kosten für den Arbeitsaufwand bei den Kassen bzw. deren Subunternehmen übersteigen die Höhe der Rückforderungen mit Sicherheit bei Weitem.“
Alle Jahre wieder veröffentlichen die Krankenkassen medienwirksam Schadenssummen in Millionenhöhe, die vermeintlich durch Fehlverhalten im Gesundheitswesen entstanden und bei den Kontrollen der Kassen aufgefallen seien. „Die Kassen sollten bei diesen Bilanzen auch das Minus einkalkulieren, das sie durch solche Eseleien selbst verursachen“, so Thomas Rochell. Er weist darauf hin, dass die Kassen 4,2 Prozent ihres Gesamtbudgets für ihre Verwaltung ausgeben. „Die Ausgaben für die Apotheken vor Ort, die die Patienten versorgen und beraten, sind nicht einmal halb so hoch.“
Völlig offen sei im Übrigen, ob die Krankenkasse die Abrechnung der Hirsch-Apotheke am Bahnhof Hamm zu Recht gekürzt hat. „Durch nicht gerechtfertigte Rechnungskürzungen fügen die Krankenkassen den Apotheken in Westfalen-Lippe alljährlich Schäden in sechs- bis siebenstelliger Höhe zu“, so Thomas Rochell. Eine halbe Million Euro hat der AVWL allein im Jahr 2023 von den Kassen im Wege von Einspruchsverfahren zurückgeholt. Das ist aber nur ein Teil des Gesamtschadens, denn viele Apotheken scheuen bei kleinen ein- oder zweistelligen Beträgen den Aufwand, bei den Kassen Einspruch einzulegen.
So verzichtet auch Martin Schwarzer darauf zu kontrollieren, ob seine Rechnung berechtigt korrigiert worden ist. Für 3,21 Euro sei der Aufwand für eine Überprüfung weder auf Seiten der Apotheke noch der Krankenkasse gerechtfertigt, ist er überzeugt.
„Doch auch diese kleinen Summen können sich auf Apothekenseite zu stattlichen Einnahmeverlusten addieren“, gibt Rochell zu bedenken. Wohlgemerkt gehe es bei den Überprüfungen fast nie darum, dass Patienten falsche Arzneimittel in den Apotheken erhalten haben. „Vielmehr kürzen die Kassen die Rechnungen wegen kleiner formaler Fehler auf den Rezepten“, erklärt Thomas Rochell. Er fordert daher: „Solche Überprüfungen sind für alle Seiten eine No-Win-Situation. Vollständige Rechnungsabsetzungen aufgrund von Formfehlern dürfen nicht zulässig sein. Zudem brauchen wir eine Bagatellgrenze bei Rechnungskorrekturen, damit Versichertengelder nicht weiter derart unsinnig verbrannt werden.“
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