Mit annähernd 65 Jahren hat Angela Meier vor wenigen Monaten zum ersten Mal in ihrem Leben demonstriert. Denn die Apothekerin sorgt sich um die Versorgung ihrer Patienten – und ebenso um ihren Beruf. Lieferengpässe und Bürokratie machen es immer mühsamer, den Menschen zu helfen und sie mit den notwendigen Arzneimitteln zu versorgen. Zugleich wird die wirt-schaftliche Situation der Betriebe immer schwieriger. Deshalb hat Angela Meier nun ihren ehemaligen Mitschüler und heimischen SPD-Bundestagsabgeordneten Achim Post gebeten, sich an ihrem Arbeitsplatz in der Mindener Kuhlenkamp-Apotheke ein Bild von der Lage zu machen. Nach einem ersten Gespräch mit dem Vorstand des Apothekenverbandes Westfalen-Lippe (AVWL) im November letzten Jahres ist er dieser Einladung gerne gefolgt.
Achim Post ist Vorsitzender der SPD in Nordrhein-Westfalen und Stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag für die Bereiche Haushalt und Finanzen. Jetzt konnte er einen Blick hinter die Kulissen der Apotheke vor Ort werfen: Unter anderem in die Rezeptur, in der die Mitarbeiter für die Patienten maßgeschneiderte Arzneimittel herstellen wie Salben und Cremes. Bis zu einer Stunde dauert die Herstellung mitunter, mindestens die Hälfte dieser Zeit geht für die aufwendige Dokumentation drauf. Der Lohn dafür: rund 6 Euro. „Das ist nicht annähernd Mindestlohnniveau“, kritisiert Manuela Schier, Inhaberin der Kuhlenkamp-Apotheke und Vorsitzende der Bezirksgruppe Minden-Lübbecke im AVWL.
Ebenso wenig sei die Abgabe von verschreibungspflichtigen Fertigarzneimitteln auskömmlich, fährt sie fort. Denn die staatlich reglementierte Vergütung der Apotheken ist in den vergangenen 20 Jahren nur ein einziges Mal geringfügig von der Politik angehoben und im vergangenen Jahr trotz explodierender Kosten sogar noch gekürzt worden. „Zehn Prozent der Apotheken machen ein Defizit, ein Drittel ist wirtschaftlich gefährdet“, berichtet Manuela Schier.
Mittlerweile zahlten die Apotheken pro verschreibungspflichtiger Arzneimittelpackung, die sie an gesetzlich versicherte Patienten abgeben, 46 Cent drauf. „Wir müssen also noch Geld mitbringen, um unsere Patienten versorgen zu können“, so Schier. Möglich sei dies nur durch Quersubventionierungen aus anderen Bereichen und mit Hilfe der Rabatte und Skonti, die der pharmazeutische Großhandel gewähre. Und genau diese Skonti sind jüngst durch ein Urteil des Bundesgerichtshofes eingeschränkt worden.
Diese nicht mehr auskömmliche Honorierung habe zur Folge, dass sich die Zahl der Apotheken bundesweit in einem immer steiler werdenden Sinkflug befinde: Im vergangenen Jahr sind bundesweit annähernd 500 Apotheken geschlossen worden – das entspricht der Gesamtzahl der Apotheken in Thüringen. In Minden-Lübbecke ist die Apothekenzahl in den vergangenen zehn Jahren um 13 Prozent geschrumpft.
Falls das Bundesgesundheitsministerium seine geplante Apothekenstrukturreform umsetzen sollte, werde die Situation künftig noch verschärft, so Schier. Mit dieser Reform wolle der Minister das Honorar angeblich zwischen größeren und kleinen Apotheken umverteilen. Dies allerdings sei eine Mogelpackung. Denn ein wissenschaftliches Gutachten belege, dass auch die kleinen Apotheken durch die Reform nur in homöopathischer Dosis bessergestellt würden und den großen zugleich hohe Einbußen drohten. Spezialleistungen und auch die Versorgung der Patienten mit innovativen, teuren Arzneimitteln, die von den Apotheken vorfinanziert werden müssten, würden dadurch massiv erschwert. „Die Versorgung der Patienten wird verschlechtert. Diese Umverteilung hilft nicht. Es ist schlicht zu wenig Geld im System“, so Schier. „Zudem will der Bundesgesundheitsminister Apotheken ohne Apotheker schaffen, angeblich um die ländliche Versorgung Schwerkranker zu sichern. Umfassende Medikationsberatungen, Impfungen, die Abgabe von Betäubungsmitteln, die Herstellung von individuellen Rezepturen – das alles ist ohne Apotheker aber nicht möglich“, warnt Schier und fügt hinzu: „Für die Patienten bedeutet dies nichts anderes als Leistungskürzungen.“ Verfassungsrechtler hätten zudem Bedenken gegen diese Pläne geäußert.
Manuela Schier berichtet dem Abgeordneten von dem finanziellen Risiko, das sie auf sich nimmt, wenn sie ein Arzneimittel im Wert einer fünfstelligen Summe vorfinanziert – immer in der Sorge, dass die Krankenkassen das Medikament hinterher wegen irgendwelcher Formalia nicht erstatten. Sie erzählt, dass sie ihren Mitarbeitern gern höhere Löhne zahlen würde. „Aber wenn die Politik die Vergütung der Apotheken nicht anpasst, können wir diese Gehaltssteigerungen nicht gegenfinanzieren“, so Schier. Und sie kritisiert, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit den Apotheken nicht ins Gespräch über all diese Fragen und Probleme gehe.
Achim Post sieht die Schwierigkeiten. Er ermuntert die beiden Apothekerinnen, Politik und Öffentlichkeit weiter über ihre Lage zu informieren. Als Haushaltspolitiker weist er vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen auf die angespannte Haushaltslage hin und betont gleichzeitig die Dringlichkeit wichtiger Zukunftsinvestitionen etwa in Bildung, Infrastruktur und auch die Gesundheitsversorgung. „Daher setze ich mich für einen größeren finanziellen Spielraum zugunsten dieser notwendigen Investitionen ein. Das würde auch den Apotheken helfen“, so Achim Post.
„Wenn es keine Apotheken vor Ort mehr gibt“, betont Schier, „wird dies für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft noch viel teurer sein.“ Post stimmt zu und ergänzt abschließend: „In den letzten Jahren mussten viele Apotheken schließen, insbesondere im ländlichen Raum. Diesen Trend müssen wir stoppen und Apotheken vor Ort stärken, denn sie sind für eine flächendeckende Arzneimittelversorgung von zentraler Bedeutung.“
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